Hier eingefügt am 15.10.2023
1963 oder 1964
(Ich war 10, vielleicht 11 Jahre alt)
Kühe und eine glühende Kugel
Es war ein düsterer Tag. In der Ferne hörte man es ab und zu leise donnern, und tiefhängende Wolken kamen über den Friedhof herübergezogen, der, ganz in der Nähe, im Westen lag. Deshalb kam „das Wetter“ – von unserem Zuhause aus gesehen - meist über den Friedhof.
Foto rechts: Blick aus dem Dachfenster
nach Westen
Mich ängstigte das Donnergrollen nicht, und ich war voll freudiger Erwartung. Ein neues Abenteuer wartete darauf, von mir erlebt zu werden. Ich freute mich darauf, mit Erika, die zwei oder drei Jahre älter war als ich, in die Feldmark zu gehen. Erika war die Tochter des Bauern, der nur einen Steinwurf weit entfernt von meinem Zuhause, östlich, seinen Hof hatte. Sie sollte eigentlich, wie schon oft zuvor, allein in die Feldmark gehen, um die Kühe, die hinten im Feld, weit hinter dem Friedhof, grasten, zu holen und in den Stall zu bringen.
Oben: Blick über den Ort (2007), dahinter, vor den Wäldern, die weitläufige Feldmark
An diesem Tag hatte sie Angst, und das war wohl der Grund, warum sie mich fragte, ob ich sie begleite. Nur zu gern, neuen Erfahrungen gegenüber war ich immer aufgeschlossen. Und so liefen wir zusammen weit ins freie Feld, den Kühen und dem näherkommenden Gewitter entgegen. An der Wiese angekommen öffnete Erika das Tor mit geübten Handgriffen, und die Kühe, es waren so ungefähr 10, trabten auf dem schmalen Feldweg an uns vorbei, den Weg entlang, auf dem wir gerade gekommen waren.
Das Gewitter hatte uns fast erreicht, es blitzte und donnerte ab und zu und begann zu regnen. Mich störte das nicht, aber Erika wurde immer nervöser und ängstlicher. Plötzlich, ohne ein Wort zu sagen, rannte sie los und ließ mich mit den Kühen – die das offenbar gar nicht zur Kenntnis nahmen, allein zurück. Sie trabten gemütlich weiter, und ich mit ihnen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte und wagte nicht, die Herde allein zu lassen. Ich fühlte mich verpflichtet, sie sicher in den Stall zu bringen und hatte Angst, dass sie sich ohne mich verlaufen würden.
Es regnete inzwischen in Strömen, dazu donnerte und blitze es ununterbrochen. Wir - die Kühe und ich - befanden uns nun inmitten des Unwetters, auf freiem Feld, und noch etliche hundert Meter von den ersten Häusern des Dorfes entfernt. Von Erika war längst nichts mehr zu sehen, und die Kühe dachten gar nicht daran, sich zu beeilen. Sie trabten gemütlichen Schrittes weiter.
Auf die Idee auch wegzulaufen, kam ich gar nicht… Vielleicht deshalb, weil etwas Seltsames geschah, das mich total in den Bann zog:
Eine glühende Kugel war plötzlich über mir. Ich hatte sie gar nicht kommen sehen, aber plötzlich rollte sie, ein paar Meter von mir entfernt und ungefähr so hoch wie eine Dachrinne (dachte ich damals) mit mir mit. Ich betrachtete sie ganz fasziniert: Sie war kugelrund, sah aus wie eine glühende Sonne und war so groß wie ein dicker Medizinball (damit verglich ich sie). Und, als ob es da oben eine unsichtbare Bahn gab, rollte sie darauf ganz langsam, meinem Schritt (und dem der Kühe) angepasst, mit mir mit. Den ganzen Feldweg entlang, und sie bog sogar am Ende des Weges mit uns nach links ab und rollte dann - da oben – weiterhin mit uns mit. Es donnerte, blitzte und regnete, aber dennoch empfand ich die seltsame Situation als vollkommen friedlich. Ich konnte die Augen gar nicht von der glühenden Kugel abwenden, und Angst hatte ich überhaupt nicht.
Links von mir tauchten die ersten Häuser auf, und für mich so plötzlich, dass ich erschreckt zusammenzuckte, wurde ich von einer Frau am Arm gepackt und vom Weg weggerissen. Sie hielt mich fest, redete hektisch auf mich ein - wie gefährlich es für mich sei, weiterzugehen - und zog mich hinter sich her ins Haus. Um die Kühe müsse ich mir keine Gedanken machen, die würden den Weg nach Haus allein finden, sagte sie, und damit behielt sie recht: Die Kühe kannten den Weg tatsächlich und sind wohlbehalten im Stall, dessen Tür für sie weit geöffnet war, angekommen.
Die Kühe kannten den Weg tatsächlich und sind wohlbehalten im Stall, dessen Tür für sie weit geöffnet war, angekommen.
Das Foto rechts entstand im Jahr 2005; es zeigt den ehemaligen Eingang in den Kuhstall. Direkt dahinter, auf der rechten Seite, standen sie. Dicht an dicht an der Wand entlang. Offenbar sieht man hier immer noch das alte Tor von damals, aus der Zeit meiner Kindheit. Es wurde nur irgendwann einmal angemalt.
Ob die Frau die glühende Kugel gesehen hat, weiß ich nicht (sie redete so hektisch und schnell auf mich ein, dass ich mich nicht erinnern kann, ob sie darüber sprach), aber ich habe sie nie vergessen. Noch heute sehe ich sie deutlich vor mir, wenn ich daran denke.
Später las ich hin und wieder mal was über (noch heute kaum erforschte) Kugelblitze. Vielleicht war „diese wunderbare Erscheinung“ ein Kugelblitz, sie hat jedoch keinerlei Anstalten gemacht, „aufzuplatzen“ oder sich aufzulösen. Vielmehr war ich davon überzeugt, dass sie Bewusstsein hatte (genau wusste, was sie tat), die Kühe und mich beruhigte, uns eine lange Wegstrecke sicher geleitete und gekommen war, um uns zu beschützen.
Das Erlebnis hat mich so sehr beeindruckt, dass ich die Kugel heute noch ganz deutlich vor „meinem geistigen Auge“ sehe und noch immer staune, dass sie wie auf einer unsichtbaren Bahn über uns dahinrollte.
Den Feldweg bin ich noch sehr oft entlanggegangen, auch viele Jahre später immer mal wieder (mit meinem Hund), und ich hatte u.a. dort noch weitere sehr besondere Begegnungen. Dazu komme ich an anderer Stelle.