Die Mitteilung
1973 – 1993
Hinweis: Ich schreibe die nachfolgenden Geschehnisse nicht, um meiner Trauer Ausdruck zu geben, sondern um zu "zeigen", zu was "wahre, aufrichtige Liebe" fähig ist, und was sie hervorbringen kann, wenn man "in Liebe" ein Ziel verfolgt...
1973
Im Fernseher lief ein spannender Krimi. Der Zeit entsprechend wird es wohl ein „Tatort“ gewesen sein. Ich – etwa im 7. Monat schwanger mit meiner ältesten Tochter - hatte es mir in einem Sesel bequem gemacht und verfolgte entspannt und aufmerksam das Geschehen. Doch dann, von einem auf den anderen Moment, „flog mich“, mitten in meine Betrachtung hinein, blitzartig „eine Botschaft“ an, die mich erstarren ließ.
Niemand sprach mit mir, und ich hörte auch keine geheimnisvolle Stimme, die mir etwas zuflüsterte (oder etwas in der Art), nein, ich bekam die Nachricht auf eine so subtile, aber total präzise Art, dass ich es nicht beschreiben kann. Ich wusste „es“ plötzlich, von einem auf den anderen Moment, und das Warum und Woher blieb dabei offen.
Die „Botschaft“ lautete“: Du wirst Dein Kind wieder verlieren, durch Leukämie!
Ich befand mich damals in der Ausbildung zur Krankenschwester, war oft bei Geburten und auch Sterbefällen dabei gewesen, aber das Thema Leukämie hatten wir nur „leicht berührt“, und ich kannte zu dem Zeitpunkt auch niemanden, der daran erkrankt oder gestorben war. Ich wusste deshalb nicht, was es damit wirklich auf sich hat. Zudem zweifelte ich (wie immer, wenn etwas Merkwürdiges passierte) erst einmal an mir selbst und fragte mich, ob ich selbst mit meinen Gedanken zu dem Thema abgeglitten war. Jedoch sehr genau wissend, dass es sich anders verhielt.
Es hatte nur den Bruchteil einer Sekunde gedauert, und ich war so sehr erschreckt, dass ich sofort wieder versuchte, meine Gedanken in andere Bahnen zu lenken, das Erlebte zu verdrängen und – auch später – möglichst nie mehr aufkommen zu lassen. Ich erzählte nie jemandem davon, aus Angst, es könne missverstanden werden oder mein Kind könne es erfahren, und trug fortan „das Wissen“ darum (und genau darum handelte es sich, um „Wissen“) still in mir.
Vergessen konnte ich es nie. Ich wusste ganz genau, dass es weit mehr als nur ein Gedanke gewesen war: Es war eine Botschaft, eine Ankündigung und Mitteilung, die mich – trotz all meiner Vorfreude - offenbar darauf vorbereiten sollte, wieder Abschied nehmen zu müssen. Ich wusste (ohne Zweifel!), dass „es“ passieren würde, nur wusste ich nicht, wann. Ein schreckliches „Wissen“…
Dennoch, es hatte – wenn man das überhaupt so sagen kann – auch gute „Effekte“. Ich lernte dadurch, alles Schlimme, was danach geschah, recht gelassen zu nehmen und geschehen zu lassen. Nichts, rein gar nichts, konnte so schlimm sein, wie der Tod meiner Tochter, die wenige Monate später geboren wurde. Ich liebte sie so sehr, dass ich es nicht in Worte fassen kann.
Die „seltsame Nachricht“ hatte dazu geführt, dass ich meine Aufmerksamkeit, meine ganzen Sinne, (wie sowieso schon, aus besonderen Gründen, seit meiner frühen Kindheit) noch einmal enorm schulte und schärfte, um mein Kind möglichst vor allem Unheil schützen zu können, was auch immer geschehen würde. Ich hütete sie, wie „meinen Augapfel“, wie man so sagt (was einige Jahre später noch eine besondere Bedeutung bekommen sollte), und hatte in jedem Moment Angst, es könne ihr etwas passieren. Ihr ganzes Leben lang. Doch alles war vergeblich, ich konnte nicht verhindern, was offenbar längst feststand…
Meine älteste Tochter (ich habe zwei weitere, die später geboren wurden, und die ich nicht weniger liebe) und ich waren uns in vielen Dingen sehr ähnlich: Wir hatten dieselben Interessen, denselben Humor, wir interessierten uns für Kunst, Literatur, tiefsinnige Gespräche, die Liebe und das Leben. Wir lachten sehr viel, tanzten, tauschten Sorgen, Probleme und unsere Klamotten und versicherten uns täglich, oft mehrfach, wie sehr wir einander lieben. Jeden Tag sagte sie es oder schrieb es mir:
Ich liebe Dich!
Gerade so, als ob sie auf jeden Fall sichergehen wollte, dass ich es nie vergesse...
Ja, so war es. Meine Tochter war mir – schon als kleines Kind – eine weise Ratgeberin und Freundin, so seltsam es auch klingen mag. Sie erzählte mir manchmal Dinge, die schier unglaublich waren, und unsere innere Verbundenheit und unser Vertrauen zueinander war so außergewöhnlich stark, dass es nicht in Worte zu fassen ist. Wir waren irgendwie „wie aus einem Guss“ - und wir enttäuschten einander nicht.
Die Jahre vergingen, wir ruhten „ineinander“ - und rundum „tobte“ das Leben und riss uns mit.
18 Jahre waren vergangen, als die Diagnose gestellt wurde: Leukämie.
Ich wusste es, als die Schmerzen in den Beinen begannen…
Ganz leise hatten zarte Glöckchen in meinem Inneren zu läuten begonnen, die davon kündeten, dass die Zeit des Abschieds nun ganz nah war. Ja, ich wusste es – und meine Verzweiflung war grenzenlos. Sie nachvollziehbar zu beschreiben, wäre mir nicht möglich…
Es war meine Tochter selbst, die mir die Diagnose mitteilte und mich tröstete. Sie war - und blieb bis zum letzten Atemzug - unglaublich stark. Viel stärker als ich – und zwischen uns gab es ein „stummes“ Versprechen:
Wir lassen einander los, wenn die Zeit gekommen ist…
Ohne, dass wir es je ausgesprochen hätten, wusste ich ganz genau, dass sie – wie ich – sehr genau wusste, dass sie gehen „muss“ – und nichts hätte etwas daran ändern können.
1993
Als ihr Herz das erste Mal stehenblieb (ich war nicht da) wurde sie wiederbelebt – im Wissen des pflichtbewussten Arztes, dass es keine Hilfe gab und sie „ein zweites Mal“ würde sterben müssen. Ich sprach ihm deutlich ins Gewissen, bat mit Nachdruck darum, auf keinen Fall noch einmal eine Wiederbelebung durchzuführen – und wenige Tage später ging sie endgültig. Mit der Kraft, die sie in mich gepflanzt hatte, war es mir möglich geworden, ihr „den Weg zu bereiten“ und (für sie) darum zu bitten, sie gehen zu lassen.
Nur aufrichtige Liebe hat die Macht, uns über uns selbst hinauswachsen zu lassen und eine Kraft in uns zu erwecken und zu bündeln, die vorher scheinbar nicht existierte.
Und mehr noch - es steht vollkommen außer Zweifel: Aufrichtige Liebe vergeht nicht, sie ist die Basis aller Schöpfung und unzerstörbar. Meine Tochter ließ eine so große „Portion“ davon in mir zurück, dass die Kraft, die daraus immer wieder neu erwacht, mich bis heute durchs Leben trägt – und mich all das „Böse“, ertragen ließ und lässt, was sich ereignet (te).
Ja, meine Tochter lehrte mich, wie unglaublich stark und mächtig die wahre, ehrliche, aufrichtige, unverdorbene Liebe ist. Sie ist mit absolut nichts zu vergleichen, was existiert; sie ist die nie versiegende Quelle, aus der jeder Mensch sein ganzes Leben lang immer wieder neu schöpfen kann, wenn er erkennt, dass er sie in sich trägt und wie man sie sich erschließt.
Meine Tochter starb auf den Tag genau ein halbes Jahr nach der Diagnose, genau 4 Wochen nach ihrem 19. Geburtstag und 20 Jahre nach dem „fürchterlichen Krimi“, in dessen Verlauf mein Leben im Bruchteil einer Sekunde vollkommen verändert und in eine bis dahin unverhoffte Richtung gelenkt wurde.
Bild links:
Das Bild zeigt die Gravur im Grabstein meiner Tochter, die ich so entworfen habe, um unsere ewige Verbundenheit damit zum Ausdruck zu bringen.
Auf ganz unverhoffte Weise begegnete mir genau dies "Liebes-Symbol" 7 Jahre später (2000), an ganz anderer, seltsamer Stelle, ohne dass sich eine Erklärung dafür finden ließ...
Niemand hätte sagen können, warum ausgerechnet mein Kind (oder ein anderer Mensch) an Leukämie erkrankt war, und ich hinterfragte es auch nicht. Natürlich vergoss ich viele Tränen, aber ich klagte nicht, und ich jammerte nicht… Warum sollte ich?
Ich hatte gelernt, den Dingen ihren Lauf zu lassen und loszulassen, wenn die Zeit dafür gekommen ist.
Der Tod, daran hatte ich noch nie im Leben Zweifel, ist nicht das, was allgemein darunter verstanden wird. und schon als ganz kleines Kind versuchte ich die Menschen zu trösten, die bitterlich um einen Verstorben weinten und deren Tod beklagten. Mit dem Hinweis darauf, dass sie nun an einem anderen Ort weiterlebten - ohne Sorgen, Schmerzen oder andere negative Dinge, die uns hier belasten.
Natürlich wurde von vielen Menschen herumgerätselt, wer oder was die Erkrankung ausgelöst haben könnte, gerade so, als müsse unbedingt ein Schuldiger gefunden werden, um mit der Sache abschließen zu können…
Hatte die radioaktive Verseuchung durch den Reaktorunfall in „Tschernobyl“ (1986) zu der Erkrankung geführt? Waren es die schadstoffbelasteten Deckenplatten im Gymnasium, das meine Tochter besuchte (sie wurden später entfernt), oder war der Auslöser die Röntgenaufnahme, die wenige Tage vor der Entbindung von meinem Bauch (mit meinem Kind darin) gemacht wurde, um zu ermitteln, ob der Kopf des Kindes durch den Beckenring passt (es wurde ein Kaiserschnitt)?
Zu der Zeit, in den ersten Tagen des Jahres 1974, war es eigentlich schon längst nicht mehr üblich, Schwangere zu röntgen, da man sehr genau wusste, wie schädlich Röntgenstrahlen – insbesondere für Ungeborene - sind.
Assistenzärzte, die sich einige Jahre später die Aufnahme ansahen, rätselten herum, was sie zeigt:
Ein so „merkwürdiges Durcheinander“ von Knochen konnten sie nicht einordnen und kamen sogar auf die Idee, „die Frau“ (nicht wissend, dass ich diese Frau war) hätte wohl ein ganzes Hähnchen, mitsamt den Knochen verspeist. Ich behielt die Aufnahme und bewahre sie noch heute auf.
Alle Dinge des Lebens haben nicht nur zwei, sondern „viele“ Seiten, und das sollten wir uns immer wieder bewusstmachen. Es gibt nichts „Schlechtes, Schlimmes“, ohne eine „gute Seite“ – und es gibt nichts Gutes, in dem sich nicht auch ein Anteil Negatives, Schlechtes verbirgt. Ob wir das nun immer erkennen oder nicht, es ist immer so, ausnahmslos. Das hängt mit dem „Goldenen Schnitt“ zusammen, der sich überall in der Schöpfung offenbart – um die Ausgewogenheit aller Dinge, die existieren, in einem harmonischen Gleichgewicht zu halten - doch darauf will ich an dieser Stelle nicht eingehen.
Der Ausbau der Deutschen Knochenmarkspenderdatei war Anfang der 90er Jahre noch nicht weit fortgeschritten. Als meine Tochter die Diagnose bekam (im Herbst 1992), waren nur ein paar Tausend potentielle Spender in der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS, Tübingen, Gründung 1991) registriert, und es gab auch nur eine Handvoll Selbsthilfegruppen in Deutschland, wo man hätte Rat und Unterstützung finden können. Wir, die Familie und gute Freunde, telefonierten uns die Finger wund, und suchten weltweit, u.a. in Seattle (USA) Hilfe – ohne Erfolg.
Mein Kind war an einer akuten Leukämieform erkrankt, und es gab keine Rettung. Sie starb auf den Tag genau ein halbes Jahr nach der Diagnose; auf den Tag genau 4 Wochen nach ihrem 19. Geburtstag und genau 20 Jahre nach „dem spannenden Krimi“, während dessen Ausstrahlung die Ankündigung ihres Todes in mein Bewusstsein „gesät“ wurde…
Ein kleine „Episode“ am Rande, die ich als Hinweis auf die Tatsache erwähne, dass die Wahl der Gedanken und Worte (immer) von entscheidender Bedeutung ist; beides wird stets seine energetische Wirkung entfalten.
Eine eher flüchtige Bekannte – eine Hebamme (die Kollegin einer befreundeten, anderen Hebamme, die mir, meiner Tochter und dem Vater meines Kindes damals sehr zur Seite stand) spottete damals über all die Bemühungen, die Freunde und Bekannte sich machten, um für meine Kind und auch für andere Betroffene Hilfe zu finden.
Sehr bald nach dem Tod meiner Tochter erkrankte sie selbst – an genau derselben akuten Leukämieform. Wir taten auch für sie alles was wir konnten – initiierten u.a. eine große Typisierungsaktion, um nach einem passenden Knochenmarkspender zu suchen - aber auch für sie gab es letztendlich keine Hilfe, und sie starb ebenfalls sehr bald nach der Diagnose.
Die Macht der Sprache
Sprache ist eine schöpferische Macht, die das Potenzial hat, ALLES zu erschaffen. Deshalb ist es äußert wichtig – für jeden Menschen und die Ganzheit der Schöpfung - destruktive Gedanken und Ausdrucksweisen zu meiden.
Der Mensch nimmt nur das wahr, worauf er seinen Fokus richtet, und das bedeutet in diesem Kontext, dass wir wieder lernen müssen, unseren Fokus sehr bewusst (auch) auf unsere Ausdrucksweise, die Wahl unserer Worte und die Aufrichtigkeit der Wertschätzung,
die wir - auch in der Sprache - einander entgegenbringen, neu zu schulen. Worte werden dadurch „gehalt- und machtvoll“, dass sie mit wahren und leider auch unwahren Gefühlen angereichert - ja, durch und durch „erfüllt“ - werden. Und es sind ausschließlich die aufrichtigen Gefühle, die eine Kommunikation ermöglichen, die auch ganz ohne Worte stattfinden kann. Bis über den Tod hinaus…
Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.
Achte auf deine Worte, denn
sie werden Handlungen.
Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheit.
Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.
Quelle: Talmud
Die englische Fassung nach Charles Reade geht auf ein chinesisches Sprichwort zurück.
Schon bald nach dem Tod meiner Tochter gründete ich eine Selbsthilfegruppe für Leukämiepatienten und Angehörige (bundesweit), aus der schnell ein Verein mit vielen Mitgliedern wurde.
Der Anfang entfaltete sich wie ein fruchtbares Samenkorn, das schnell Früchte trug:
Weitere Selbsthilfegruppen und Vereine entstanden, überall in Deutschland.
Als Vorsitzende des von mir gegründeten Leukämie-Hilfe-Vereines in meinem Wohnort initiierte ich – natürlich mit Unterstützung der anderen Vereinsmitglieder - insgesamt 10 Typisierungsaktionen, und es gelang uns, 25.000 Menschen dazu anzuregen, sich typisieren und als potentielle Spender für einen an Leukämie erkrankten Menschen in die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) eintragen zu lassen. Auch das erforderliche Geld dafür konnten wir – u.a. durch diverse Veranstaltungen und Feste, jeweils explizit einem an Leukämie erkrankten Menschen gewidmet - zusammenbringen, und alles bezahlen (damals 100,- Euro für jede Typisierung).
Was sich bis heute daraus entwickelt hat, ist atemberaubend!
Das bundesweite Interesse und die Anrufe von Ratsuchenden (auch aus dem Ausland) waren so groß, dass wir innerhalb des Vereins – in meinem Wohnzimmer – schon bald den Grundstein für die Gründung einer bundesweiten Leukämiehilfe legten. Es dauerte nicht mehr lange, und die Deutsche Leukämiehilfe (DLH, Bonn, Gründung Mai 1995), die der Deutschen Krebshilfe angeschlossen wurde, konnte aus der Taufe gehoben werden.
Der Vater eines an Leukämie erkrankten jungen Mannes, der sich mir angeschlossen hatte, ließ sich zum Vorsitzenden wählen.
Insgesamt 20 Jahre blieb ich als Ansprechpartnerin (und Kraft spendende „Trösterin“) für Ratsuchende an Leukämie erkrankte Menschen und deren Angehörige gelistet, doch alle wichtigen und aktuellen Erkenntnisse und Informationen – die sich im Lauf der Jahre sehr verändert haben - laufen seit ihrer Gründung bei der DLH in Bonn zusammen. Ich hoffe und wünsche von ganzem Herzen, dass jeder Ratsuchende ganz schnell Hilfe und Heilung findet.
DLH = Deutsche Leukämie- und Lymphom-Hilfe
1997
4 Jahre nach dem Tod meiner Tochter…