2006 (evtl. 2007)

 

Der Schieber aus dem Unsichtbaren

 

Die letzten Tropfen Wasser liefen gerade in den Filter, und die Kaffeemaschine gab ihre üblichen kleinen Gluckser und Zischgeräusche von sich, mit denen sie davon kündete, dass ihr Werk gleich vollendet sein würde.  Ich – in Vorfreude auf eine Tasse frischen Kaffees – stand gedankenversunken vor der Arbeitsplatte und wartete geduldig. Nur die Kaffeemaschine stand darauf, etwas nach hinten versetzt, und darüber hing ein weißer Hängeschrank.

Ein klapperndes Geräusch, direkt vor mir, schreckte mich aus meinem Gedanken – und ich sah gerade noch, wie ein „kleines, schwarzes Teil, etwa 2 cm lang, mit seltsam unregelmäßigen Kanten“ eine letzte kleine Bewegung machte und dann direkt vor mir ruhig liegenblieb.

Verwundert nahm ich es, betrachtete es von allen Seiten – und konnte nichts damit anfangen. Aber irgendwo musste es ja abgefallen sein…

Die Kaffeemaschine schloss ich aus, die stand viel zu weit hinten. Also untersuchte ich sehr genau den Hängeschrank darüber. Aber von dort konnte es auch nicht gefallen sein, da gab es nur glatte weiße Flächen. So sehr ich auch suchte, und das „Plastikding“ untersuchte, es fand sich keine Erklärung dafür, was das war und wohin es gehören könnte.

Wieder und wieder drehte ich es in den Händen, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen – bis mir plötzlich ein so paradoxer Gedanke in den Sinn kam, dass er mir erst einmal viel zu abwegig erschien, als dass er wahr sein könnte. Allerdings - wenn ich mit einbezog, dass mir sehr häufig total merkwürdige Dinge passierten, die ich weder Fremden noch Freunden erzählen würde (wohl wissend, dass man an meinem Verstand zweifeln würde, wenn ich es täte), war nahezu alles denkbar - auch das Unglaublichste...

 

Mein Leben nahm immer wieder sehr seltsame Wendungen, und dazu gehörte, dass ich mich nun in der Küche meiner Kindheit befand; in dem Reihenmittelhaus (inzwischen saniert und neu eingerichtet), in das wir einzogen, als ich sechs (oder gerade 7) Jahre alt war. Nach der Trennung von meiner Mutter blieb mein Vater dort wohnen; auch ich (damals 15) und mein zwei Jahre jüngerer Bruder.

Viele Erinnerungen waren (und sind) mit dem Haus, meinen drei Geschwistern, den Nachbarn, meiner Kindheit und Jugend, den Umständen des dortigen Wohnens etc. verbunden – auf eine Waagschale geworfen weit mehr negative als positive…

 

Daran dachte ich an diesem Tag sicher nicht, vielleicht aber daran, dass ich mit meinem Vater, der (im Gegensatz zu mir) glaubte, dass nach dem irdischen Tod alles aus sei - nicht lange vor seinem Tod ein Abkommen getroffen hatte: Wer zuerst stirbt, meldet sich – auf jede Weise, die möglich ist (um Kenntnis davon zu geben, dass der Tod nicht existiert).

Mein Vater gehörte für mich immer als ganz fester Bestandteil zu einem Leben und meiner Familie (auch während meiner beiden Ehen), und es war für mich vollkommen selbstverständlich, dass er so oft er wollte und konnte bei uns war. Er war ein ruhiger, zurückhaltender, sehr angenehmer Mensch, dem es ein Bedürfnis war, zu helfen, wo immer er helfen konnte. Jeder hätte ihn um Hilfe bitten können, auch mitten in der Nacht – und er wäre sofort zur Stelle gewesen. Er redete nicht viel, er handelte, im positivsten Sinn.

Auch Dinge, die andere längst entsorgt hätten, baute er auseinander und bastelte und probierte so lange daran herum, bis sie wieder funktionierten.

 

(Vielleicht ist das der Grund für einen meiner Lebens-Leitsätze:

Geht nicht gibt`s nicht. Mein zweiter:

Sei immer so, dass Du vor dir selbst bestehen kannst! Desiderata)

 

Was seine Hilfsbereitschaft, seine Ruhe, Gelassenheit, Zuverlässigkeit, Toleranz und viele weitere seiner guten Eigenschaften betrifft, habe ich ihn mir stets als Vorbild genommen. Er lebte mir täglich vor, was Nächstenliebe ist und war dadurch ein sehr wichtiger Lebenslehrer für mich. Das bedeutete, und dessen waren wir uns beide vollkommen sicher, dass wir uns in jeder Hinsicht zu 100% aufeinander verlassen konnten. Immer, egal, was auch kommen würde.

Echte, aufrichtige Liebe – ich kann es gar nicht genug betonen – ist DIE Kraftquelle, aus der wir lebenslang immer wieder neu schöpfen können (und müssen). Es mag viele, zweifellos viel zu viele Menschen geben, die nicht verstehen, was ich meine, und das tut mir sehr leid. Aus dem eigenen nahen Umfeld weiß ich, wie zerstörerisch es sein kann, wenn das Verständnis dafür – für die „Urkraft Liebe“ (die vollkommen unabhängig von Sexualität existiert) – fehlt. Diese Liebe ist „göttlich“ und absolut „geschlechtslos“.

 

Im frühen Winter brachte mein Vater stets mein Auto auf Vordermann (wie man so sagt), sorgte für den richtigen Ölstand, den richtigen Reifendruck, für Frostschutzmittel usw., und da ich mehrmals umzog, half er mir auch bei den Umzügen und dem Renovieren der jeweils neuen Wohnungen. Er tapezierte, hängte meine Lampen an etc. Ich habe und hatte stets großen Respekt vor Strom, und drehte dazu immer die Sicherung raus, damit ihm nichts passiert - und er amüsierte sich darüber. Sinngemäß sagte er mal, dass es nur „Peng“ machen würde, wenn er etwas falsch gemacht hat, dann würde das Licht vielleicht noch einmal kurz aufflackern und die Sicherung würde rausfliegen.

Wenn es dann darum ging, meine Bilder gerade an die Wände zu hängen, warf ich stets noch mal einen prüfenden Blick darauf -  und mein Vater staunte, mit Maßband in der Hand, jedes Mal sehr darüber, dass ich die kleinste Abweichung sofort erkennen konnte, auch wenn er meinte, dass die Bilder bereits total gerade hängen. Letztendlich hängte ich sie dann wirklich gerade, meist nur um wenige Millimeter. Gern sagte er (sehr gefordert, aber lachend), dass es mit mir nie langweilig würde – und damit hatte er nicht unrecht. Langeweile war und ist mir auch heute noch ein „Fremdwort“.

All das ist lange her, aber ich denke stets mit großer Dankbarkeit daran zurück.

 

Im Jahr 1975, etwas mehr als ein Jahr nach der Geburt meiner ältesten Tochter, hatte ich geheiratet und wir wohnten in einem Haus mit großem Garten in Hildesheim. 1981 zogen wir, mein Mann, meine inzwischen drei Töchter und ich, in meinen Geburtsort zurück; in ein Haus, das nur wenige Minuten Fußweg von dem Reihenhaus entfernt war, in dem mein Vater wohnte. Gewissermaßen einmal um die Ecke.

Ein knappes Jahr später zog ich dann – seit der Heirat um sieben (sehr wichtige) Jahre Lebenserfahrung reicher - mit den Kindern in das Haus mit der an anderer Stelle (2000) bereits erwähnten Auffahrt – wieder „gleich um die Ecke“. Hier gab es einen großen Garten, eine Wiese, damals mit wunderschönen alten Obstbäumen, und viel Platz für die Kinder. Ich war sehr gefordert, aber ich liebte und genoss die ersten Jahre dort sehr…

Das Haus hatte ursprünglich einer Pfarrersfamilie gebaut, und es erschien mir manchmal so, als strahle es eine „himmlische Energie“ auf mich - und uns alle - aus.

 

Doch zurück zu meiner mir selbst abwegig erscheinenden Idee, um was es sich bei dem „aus dem Nichts gefallenen Plastikteil“ handeln könne…

Ungefähr zwei Jahre zuvor (ich hatte damals schon vergessen, wann es genau war) war mir im Auto ein Schieber zerbrochen, mit dem man – durch Hin- und Herschieben – die Temperatur regelte. Die zerbrochenen Teile habe ich damals kurzerhand weggeschmissen und mir vorgenommen, mir baldmöglichst einen neuen Original-Schieber zu kaufen. Doch bald darauf wurde es warm, ich brauchte die Heizung nicht, und der Schieber geriet in Vergessenheit. Das „Spiel“ wiederholte sich mindestens noch einen Winter, doch dann hatte ich es leid, mit dem am Heizungsregler verbliebenen kleinen „Haken“, an dem der zerbrochene Schieber befestigt gewesen war, zu hantieren. Das ging nur schwer und es bestand ständig die Gefahr, dass ich mir dabei die Fingernägel abbrach. Inzwischen hatte ich in Erfahrung gebracht, dass ich mir (damals) so einen Schieber nur in der Autofirma bestellen konnte, und immer mal wieder kreiste der Plan in meinem Kopf herum, es endlich mal in die Tat umzusetzen.

Und nun stand ich da, mit dem schwarzen Plastikteil in der Hand, das gerade direkt vor mir – aus dem Nichts, wie es schien – auf den Tisch geklappert war und hatte die irrsinnige Idee, es könne genauso ein Schieber sein, wie ich ihn für den Heizungsregler im Auto brauchte.

Verrückt, aber dennoch wollte ich das sofort klären (insbesondere, um den Gedanken wieder aus dem Kopf zu bekommen) und ging direkt damit zum Auto.

 

Viel gibt es nun nicht mehr dazu zu sagen…

 

Es gab noch einen zweiten, identischen Schieber im Auto, mit dem man die Lüftung regeln konnte; identisch mit dem, der an der Heizung fehlte. Ein Vergleichsstück sozusagen – und ich erkannte es sofort: Ich hielt genauso einen Schieber in Händen. Er passte auch auf Anhieb und unterschied sich überhaupt nicht von dem anderen. Es war ein „Original“, das zudem sofort bestens funktionierte.

Das Auto habe ich erst vor etwa zwei Jahren verkauft, und ich gehe davon aus, dass es noch jahrelang im Harz spazieren fährt; ohne dass der Käufer eine Ahnung davon hat, dass die Temperatur (und somit das Klima) im Auto davon abhängt ist, inwieweit ein „himmlischer Schieber“ – der aus einer „unsichtbaren Dimension“ in unsere Welt fiel - in die eine oder andere Richtung geschoben wird.

Wie überall in der Natur kommt es drauf an, das richtige Verhältnis zwischen den Gegensätzen (hier kalt und heiß) zu finden; den „Goldenen Schnitt“ gewissermaßen.

 

Unglaublich? Ja, aber es wurde noch viel unglaublicher…